Die renommierte Firma Hasselblad, die vor allem für ihre Mittelformatkameras und -objektive bekannt ist, schreibt alle 2 Jahre den „Masters“-Wettbewerb aus. Teilnehmen dürfen „aktive Profis“, die in mehreren verschiedenen Kategorien je 3 Fotos einreichen können. Die Gewinner jeder Kategorie haben im Anschluss an die Bekanntgabe etwa 4 Monate Zeit, um mit geliehenen Kameras der Firma Bilder zu einem vorgegebenen Thema anzufertigen. Diese werden dann in einem Bildband* zusammengefasst, herausgegeben im teNeues Verlag (Link zum Buch im Webshop des Verlags)..
Inhalt
Der dritte Band dieser Reihe trägt den Titel (und das Thema) „evoke„*. Während das Wörterbuch das mit „herraufbeschwören/hervorrufen/wachrufen“ übersetzt, übersetzen es die Herausgeber des Bildbandes nur mit „evozieren“ oder „Evokation“. Bei den meisten Lesern dürfte das nur Fragezeichen hervorrufen, was schade, angesichts diese maximal schwammigen Themas aber vielleicht sogar beabsichtigt ist.
Das Buch selbst ist sehr hochwertig gearbeitet, es ist recht groß, schwer, die Druckqualität exzellent, die Farb- und Layoutgestaltung schlicht, elegant und professionell – gut passend also zum Image der Firma Hasselblad und eine gute Erklärung für den Preis von 79,90 €.
11 Kapitel und damit 11 verschiedene Photographen, Sichtweisen und Kategorien beinhaltet das Buch. Jedes davon startet mit einem Zitat des Künstlers über Photographie oder die eigene künstlerische Sicht. Die Seite daneben enthält den Namen, die Gewinner-Kategorie, das Land und die Website des jeweiligen Lichtmalers sowie ein kurzes Statement zum Thema.
Sehr schön eigentlich. Was noch fehlt ist etwas mehr über den Künstler selbst, ein Porträt, ein kurzer Lebenslauf vielleicht und etwas über seine Inspiration. Doch halt, das gibt es ja! Zusammen mit ein paar Worten über den Gewinn des Wettbewerbs finden sich genau diese Dinge für jeden der Preisträger am Ende des Bandes.
Das hätte ich persönlich lieber bei den jeweiligen Kapiteln gehabt, denn es verschafft deutlich mehr Einblick in die Arbeiten und die Denkweise dahinter. Natürlich kann man auch argumentieren, dass so die Bilder mehr für sich selbst sprechen. Nach meiner persönlichen Ansicht reicht das hier aber nicht immer.
Die Themen, die die Künstler in diesem Band repräsentieren, entsprechen wie schon erwähnt den Kategorien des Wettbewerbs von 2012. Diese sind: Wedding/Social, General, Editorial, Up & Coming, Portrait, Fine Art, Architectural, Products, Fashion/Beauty, Landscapes/Nature und Wildlife.
Die Bilder
Die Stile und Inhalte sind so unterschiedlich wie nur irgend möglich.
So zeigt der Pole Milosz Wozaczynski eine schwarz-weiß-Serie, die kaum an das Thema „Wedding/Social“ erinnert (das Beispielbild hier repräsentiert den Rest der Serie eher schlecht). Er setzt offenbar auf Provokation und eine gewisse Absurdität. Eingesetzt werden dafür auch gliedmaßenamputierte oder übergewichtige Modelle und ein alter Mann. Mir persönlich ist das ganze zu sehr auf Konfrontation mit dem Betrachter angelegt, wirkliche Tiefe fehlt, reines Schockieren scheint das Ziel.
Ken Hermann zeigt in der Kategorie „General“ und auf dem Cover Skater-Portraits, arrangiert als stille Ganzkörperaufnahmen im urbanen Umfeld oder als Action-Aufnahme in der Halfpipe mit Landschaft in der Dämmerung als Hintergrund. Er setzt dabei sehr offensiv direktes Blitzlicht ein, was die Aufnahmen dramatisch, aber auch recht künstlich aussehen lässt. Schönen Bilder, nettes Konzept, aber wieder fehlt mir etwas die Tiefe.
Deutlich mehr davon gibt es, schon genre-bedingt, in Jon Lowensteins „Editorial“-Kategorie (die im 2014er Wettbewerb verständlicher als „Reportage“ ausgeschrieben ist). Mit Portraits, Gruppen- und Detailaufnahmen aus einem mexikanischen Gefängnis bekommt man Einblick in eine für die meisten unbekannte Welt.
„Up & Coming“, die Newcomer-Rubrik, hat thematisch am meisten Spielraum. Der Spanier Vincente Ansola nutzt ihn, um „kaum beachtete Plätze und von Menschen genutzte Gegenstände“ ins Zentrum seiner Arbeit zu rücken. Er findet die in abgelegenen Dörfern und arbeitet sie mit starken (Licht)Kontrasten und Farben heraus.
Denis Rouvre aus Frankreich nimmt die „Portrait“-Kategorie auf sehr traditionelle Art und Weise in Angriff. Studio-Brustbilder mit schwarzem Hintergrund und sehr schattiger Ausleuchtung zeigen Männer und Frauen – mehr erfährt man aber leider nicht. Ein Zusammenhang ist nicht erkennbar, Emotionen in den Gesichtern kaum zu sehen. So wirken die Portraits wie das, was sie eigentlich nicht sein sollten: bloße Abbildungen des Gesichts.
Sein Landsmann Olivier Valsecchi verfolgt ein aufwändigeres Konzept.
Er schafft Formen und Figuren allein aus menschlichen Körpern und kombiniert diese in interessanten schwarz-weiß-Bildern.
Formen sind natürlich auch DAS Thema in der Architektur-Fotografie von Frank Meyl. Die Bilder des Deutschen sind klar, zeigen wunderschöne Farben und setzen sehr unterschiedliche Formen in einem Bild sehr eindrucksvoll und gleichzeitig harmonisch in Beziehung.
Für mich eins der großen Highlights des Buches sind die Aufnahmen des US-Fotografen Joe Felzman. Seine Produktbilder haben (bis auf das hier gezeigte Bild) alle einen sehr warmen Orangeton, der mich selbst etwas an Glamour-Fotografen wie Richard Murrian* oder Rolando Gomez* erinnert. Auch sie arbeiten gern mit Farbfolien und vor allem den warmen Tönen. Dieser „Antik“-Look passt hier hervorragend zu den gezeigten und gefühlvoll beleuchteten Produkten: ein Stromerzeuger mit Kurbel, Mikrofone, eine Form für eine Retro-Brille und ein Schuhmacher-Werkzeug. Dass das Beispielbild hier als letztes mit dem Stil bricht (sowohl was Beleuchtung als auch Farbe angeht) passt zum anderen Produkt und soll wohl vor allem die Vielseitigkeit des Fotografen belegen.
Enttäuschend fällt für mich der (aus gerade mal 4 Bildern bestehende) Beitrag der Kategorie „Fashion/Beauty“ aus. Aufgefüllt wird das Kapitel durch jeweils 1 volle schwarze Seite neben jedem Fotos, die jeweils ein Wort in weißer Schrift enthält. Dieses Wort entspricht wohl der Übersetzung der schwarzen Schriftzeichen, die bei jedem Bild großflächig übermontiert wurden. „Tod“, „Bedrohung“, „Böse“ und „Dämon“ sollen vielleicht Dramatik erzeugen, zu den Bildern passt das jedoch gar nicht. Auf weißem Hintergrund recht flach ausgeleuchtete Modelle in hellen Kleidern mit ebenso hellem Make up sind dafür einfach nicht das richtige Mittel – zumal die Mode auch noch von den Zeichen überdeckt wird. Alles wirkt recht generisch, improvisiert und eher langweilig – und das sollten Modefotos wohl nie sein.
Von ganz anderem Kaliber sind wieder die Landschaftsbilder von Tom D. Jones. Schlicht beeindruckend sind die Weite und Tiefe, die vermittelt werden. Er erfasst die atemberaubende Schönheit unseres Planeten – und mich beschleicht nur die selbe Sorge wie ihn, dass wir uns einfach zu wenig darum kümmern, diese Schönheit zu erhalten.
Ähnliche Beweggründe hat sicherlich auch Joachim Schmeisser, der in der „Wildlife“-Rubrik Elefanten und Gorillas portraitiert. Ich benutze dieses Wort absichtlich, denn man spürt eine große Nähe zu den Tieren in den Fotografien. Wir können nur hoffen, dass uns auch in Zukunft nicht nur die Bilder, sondern auch noch die Motive erhalten bleiben – gut steht es leider nicht um sie.
Fazit
Nachdem ich mich näher mit dem Hasselblad Masters Award beschäftigt und den aktuellen Bildband studiert habe, muss ich ein wenig am Konzept hinter dem Award zweifeln. Ohne Frage zieht er sehr talentierte Fotografen an und die Preisträger sind ohne Frage würdige Gewinner. Der Gewinn jedoch ist neben der Publicity vor allem die Verpflichtung, mit Equipment der Marke innerhalb ca. 4 Monaten Bilder für das Buch zu schaffen.
Es scheint, dass darunter manchmal die künstlerische Qualität und Tiefe zu leiden hat. 4 Monate sind keine lange Zeit für tiefgründige Projekte, insbesondere wenn kein zusätzliches Budget dafür zur Verfügung steht und die „tägliche Arbeit“ zusätzlich gemacht werden muss. Da ist auch die Versuchung groß, mehr sich selbst und seine Vielseitigkeit zu zeigen als gründliche Bearbeitung eines Themas (zum Glück haben die Preisträger dieser Versuchung weitgehend widerstanden).
Vor allem bei den People-Fotografen/-Motiven des Bandes fällt mir auf, dass die Themen oft eher flach ausfallen.
Nichtsdestotrotz finden sich auch sehr sehenswerte Aufnahmen in dem Buch, vor allem in der Produkt-, Architektur-, Landschafts- und Wildlife-Kategorie und die Qualität des Druckes und des physischen Bandes sind hervorragend. Die Vielseitigkeit der Aufnahmen machen „Hasselblad Masters Vol. 3 – EVOKE*“ zudem zu einer unterhaltsamen und abwechslungsreichen Lektüre.
Wie gewohnt verzichte ich bei Bildbänden wegen der sehr subjektiven Natur der Kunst auf eine „Blitze“-Wertung.
Update: Weitere Rezension gefällig? Mein Kollege von Fotografr.de hat auch eine!
* = Amazon-Affilate-Link
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