Canon EOS 1D X – aus der Sicht eines Profifotografen

Canonrumors.com wusste es schon vor einigen Tagen und heute kann man es auch überall sonst lesen: Canon hat ein neues Topmodell vorgestellt. Ich sehe in den technischen Daten und Bildern jede Menge neues und für Canon-User durchaus bemerkenswertes.

Als langjähriger erfahrener Canon-Fotograf und Besitzer des Vorgängermodells habe ich mir so einige Gedanken über die Neue gemacht, an denen ich Euch teilhaben lassen will. Ein paar Informationen, die nicht oder nicht direkt in der Pressemitteilung stehen, habe ich auch eingebaut.

Fangen wir bei den offensichtlichen Dingen an.

18 Megapixel auf einem „Vollformat“-(a.k.a. kleinbildgroßen )Sensor wird sie haben, 12-14 Bilder/Sekunde schießen können und etwa $7000 soll sie kosten, wenn sie im März nächsten Jahres (tatsächlich) erscheint.

Der Preis bewegt sich also, wenig überraschend, in etwa auf dem Niveau der UVP für die EOS 1Ds Mark III. Viel Holz für die meisten, für Käufer der (Vollformat-)1er-Reihe aber eben nicht so ungewohnt.

Bild: Canon
Bild: Canon

Äußerlich hat sich am neuen Flaggschiff einiges im Detail verändert, was vor allem die Bedienung verbessern dürfte. Da gibt es nun 2 frei konfigurierbare Buttons an der Front (Nikon lässt grüßen!), jeweils im Hoch- Und im Querformat. Auch besser für Hochformat-Fotografierer: Den Joystick, mit dem sich z.B. rasch die AF-Felder wählen lassen, gibt es nun auch 2 Mal. (ENDLICH!) Eine Taste auf der Rückseite lässt den Bildermacher direkt in eine 100%-Ansicht des anfokussierten Bereichs springen (na, wo haben wir DAS schonmal gesehen?).
Und vorne gibt es nun – das hat mich ebenso überrascht wie damals bei der 5D Mark II – einen Infrarotsensor. Diese „Kleinigkeit“ hat Canon lange Zeit nur den Einstiegsmodellen vorbehalten. Warum, weiß keiner. Ich finde es viel angenehmer, die Kamera nicht per Kabel verwacklungsfrei auslösen zu müssen.

Bild: Canon
Bild: Canon

Mit dem Vollformat-Chip ist die „X“ offensichtlich der Nachfolger der 1Ds Mark III (man beachte den zusätzlichen Buchstaben!), die Serienbildgeschwindigkeit weist aber auch auf den Nachfolger der 1D Mark IV hin. Und da haben wir die erste „Revolution“. Zum ersten Mal seit der Einführung der digitalen Profi-Reihe wird es nur eine aktuelle 1er geben. Die „High-Speed“- und die „Studio“-Kamera werden zusammengelegt und vereinen sich im neuen Body. Auch dafür soll das „X“ stehen: Crossover (X-over), also die Kreuzung/Überleitung.
Um eine Kamera zu bauen, die beiden Lagern gerecht wird, musste man Kompromisse eingehen.
Für die Schnellfotografierer-Fraktion sind das der Preis und der „Verlust“ des Crop-Faktors von 1,3.
Für die Studiofotografen ist es vor allem die geringere Auflösung – es gab nicht nur wie von den meisten erwartet keinen Megapixelzuwachs, sondern sogar eine Reduzierung im Vergleich zur 1Ds Mark III und 5D Mark II.

18 Megapixel. Diese Zahl ließ bei mir sofort eine Lampe aufleuchten. 18 MP. Das ist fast exakt die Auflösung die die Magazine, für die ich arbeite, wünschen. Doppelseitig bei 300 dpi. Doppelseitig heißt in etwa A3. A3 hat die Maße 29,7 cm x 42 cm.
Geben wir das in die Formel zur Berechnung der nötigen Kameraauflösung ein (die sich auch in meinem Buch findet), bekommen wir eine Auflösung von 17,4 MP.
Ist die Auflösung also praxisrelevant? Absolut! Wenn ich eine noch größere Auflösung brauche, gibt das Budget i.d.R. auch das Mieten einer Mittelformat-Ausrüstung her.
Vergessen darf man auch nicht, dass bei steigender Auflösung auf einem gegebenen Format das Problem der Beugungsunschärfe steigt. Sie tritt dann schon bei kleineren Blendenzahlen auf, am Beispiel der Canon EOS 7D liest man von Blende 8. Ein Vollformatsensor hat dank der deutlich größeren Fläche mehr Reserven für hohe Auflösungen, unbegrenzt ist sie aber auch nicht. Die Megapixel-Zahl immer weiter hoch zu schrauben, kann also schnell zum Nachteil werden.

Quelle: http://www.fotointern.ch
Quelle: http://www.fotointern.ch

Offensichtlich ist auch der Vorteil des großen Sensors mit der geringeren Auflösung für das Rauschverhalten. Nikon hat das schon eindringlich mit der D3, der D700 etc. demonstriert. Ohne Bilder aus der Kamera kann man nur spekulieren, aber zumindest qualifiziert spekulieren kann man, wenn man sich an vorhandenem orientiert. Ausgehend von der Technik und dem Rauschverhalten der 5D Mark II, darf man sich gegenüber dieser sicher 1-2 Blenden besseres Rauschverhalten erwarten, ohne unrealistisch zu sein. Rauscht diese also z.B. bei ISO 1.600 noch angenehm wenig, darf man bei der X auf in etwa gleicher Ergebnisse bei ISO 3.200 oder 6.400 hoffen.
Denn die neue Kamera unterscheidet sich mind. in 2 Dingen. Zum einen die etwas geringere Auflösung und damit der etwas gestiegenen Fläche pro Pixel. Zum anderen im Einsatz neuester Techniken zur maximalen Lichtgewinnung pro Pixel (u.a. durch lückenlose Anordnung der Mikrolinsen).
In der Praxis dürfte das ein enormer Gewinn sein, der den Verlust der 3 Megapixel im Vergleich zu meiner 1Ds locker aufwiegt.
Über den Dynamikumfang des neuen Sensors liest man übrigens fast nichts, was befürchten lässt, dass sich in diesem für viele (und auch mich) sehr wichtigen bereich kaum etwas getan hat. Nur ein Satz in dem für (in erster Linie) CPN-Mitglieder geschriebenen ausführlichen englischen Canon-Artikel weist darauf hin, daß die CMOS-Schaltkreise auch mit dem Ziel eines besseren Dynamikumfangs – auch in den Lichtern – verbessert wurden.

Natürlich wird das Rauschverhalten nicht der einzige Grund für die geringere Auflösung gewesen sein. Auch wenn das Marketing es so verkauft, darf man nicht vergessen, daß die enormen Datenmengen bei 12 Bildern pro Sekunde erst einmal in der Kamera transportiert und verarbeitet werden müssen. Das geht natürlich einfacher, wenn die Auflösung etwas niedriger ist. Für diesen Fakt spricht auch, daß sich die Zahl der Serienbilder bei ISO-Zahlen ab 32.000 auf 10 Bilder/s reduzieren soll. Höhere ISO bedeutet mehr Rauschen, mehr Rauschen bedeutet mehr Daten.
12 Bilder/s bei 18 MP sind schon eine Menge und dürften wirklich jedem Fotografen ausreichen (eine weitere Bedeutung des „X“: X-treme). Für mich würde auch deutlich weniger genügen, aber ich fotografiere auch keinen Sport (mehr) oder Tiere o.Ä.
Trotzdem wirbt Canon sogar mit 14 Bilder/s. Das ist ein bisschen peinlich, denn im Detail ist das eher ein Marketing-Gag. Man erreicht diese Geschwindigkeit nur bei hochgeklapptem Spiegel (Live-View), im One-Shot-AF und JPG-Modus. Würde mich interessieren, wem das bei diesen Einschränkungen noch viel nützt…

Am Autofokus-System hat Canon völlig neu angesetzt (es gibt nun u.A. eine höhere Empfindlichkeit und einen Gyrosensor, der bei Schwenks dem AF helfen soll). Hoffentlich mit Erfolg. Ein treffsicherer Autofokus ist für mich ein unabdingbares Qualitätskriterium für eine Kamera. Das AF-System war der wesentliche Grund für mich von der 5er auf die 1er zu wechseln. Die Verteilung der Sensoren über den Sucher (Ausbreitung) soll sich auch ein wenig verbessert haben. Auf den ersten schematischen Ansichten wirkt es für mich kaum so. Einen der wenigen sehr ärgerlichen Punkte am Vollformat bisher für mich, dass die AF-Sensoren oft nicht bis zu den Augen meines Motives im Sucher reichen.
Vieles wurde von der EOS 7D übernommen, z.B. die Clusterbildung der AF-Felder bzw. die Möglichkeit, einen noch engeren „Spot-AF“ zu nutzen. Zusammen mit dem ebenfalls neuen und aufwendigeren Belichtungsmesssystem kümmert sich um den AF nun ein eigener Prozessor. Das hilft hoffentlich auch, den Autofokus weiter zu verbessern. Dank neuer Menüs soll das ganze jetzt auch einfacher zu bedienen bzw. einzustellen sein.

Quelle: robgalbraith.com
Quelle: robgalbraith.com

Auch aus der 7D übernommen wurde das in den Sucher einblendbare Gitter (und die Wasserwaage), diesmal allerdings ergänzt um zusätzlich wechselbare Mattscheiben. VERY nice. Der Sucher ist ansonsten ziemlich identisch mit dem der 1Ds Mark III (der allerdings auch so großartig ist, dass man es erlebt haben muss, um es zu glauben…).

Es gibt noch viele, viele weitere kleinere Änderungen an Details (so auch bei der Videofunktion, die mich aber recht wenig interessiert). Z.B. darf man endlich selbst bestimmen, welche und wie viele Einstellräder mit dem Lock-Button gesperrt werden. Das wäre schon toll, wenn während eines Studio-Shootings nicht mehr die Gefahr bestünde, aus versehen eine Einstellung (wie die Blende oder Verschlusszeit) zu verstellen. Auch eine Möglichkeit zur Mehrfachbelichtung direkt in der Kamera (mit etlichen Optionen) ist vorhanden.
Auf alle eingehen will ich hier aber nicht.
Wesentlich sind für mich noch 2 Dinge.

Bild: Canon
Bild: Canon

Zum einen sind das die Anschlüsse. Zu den obligatorischen gesellen sich nun noch eine USB 3.0-Schnittstelle (statt der alten 2.0) und ein Gigabit-Ethernet-Port. Gerade letzterer dürfte hochinteressant sein für das Tethered Shooting, also das Photographieren direkt auf einen angeschlossenen Computer. Die Kabel dürfen bis zu ca. 100m lang sein und die Datenrate ist hoffentlich nochmal um einiges höher, die Bilder erscheinen also schneller. Auch wenn das bisherige Verfahren über USB 2 schon sehr gut funktioniert, wäre jede weitere Verbesserung hier klasse.

Zum anderen finde ich bemerkenswert, daß Canon in der 1D X nun, wie Nikon bei den Profimodellen, auf Dual-CF-Slots setzt. In meiner 1Ds Mark III muss ich noch 2 verschiedene Karten (Compact Flash & Secure Digital) einsetzen. Ich mag eigentlich CF VIEL lieber und finde es auch viel angenehmer, nur einen Kartentyp vorhalten zu müssen. Zudem sind CF-Karten einfach noch schneller als SD.
Andererseits verliert man damit wieder die Möglichkeit, EyeFi-Karten für den (kostengünstigen) kabellosen Bildtransfer über WLAN einzusetzen. Ob das für den professionellen Einsatz aber überhaupt praktikabel ist, muß ich erst noch testen.  Dank der Ethernet-Schnittstelle an der X ist das aber auch verschmerzbar, denn man könnte stattdessen wohl nach einer batteriebetriebenen, kleinen WLAN-Bridge bzw. Access Point suchen.

Mein Fazit? Nach derzeitigen Stand der Informationen und der Konkurrenz ist die EOS 1D X eine für so ziemlich jeden Profifotografen, der bisher noch nicht die richtige Kamera gefunden hat, hochinteressante Kamera. Andererseits gibt es für mich wenig Gründe, zwingend auf die Neue zu wechseln, wenn sie denn endlich erscheint. Dafür ist die 1Ds für meine Zwecke einfach schon zu gut. Und ironischerweise macht mir das die neue Kamera noch sympathischer.

Aber bis März fliesst ja noch viel Wasser den Rhein (oder in meinem Fall Elbe & Alster) herunter…

Was denkt Ihr?

10 Kommentare zu „Canon EOS 1D X – aus der Sicht eines Profifotografen“

  1. Danke, Michael.
    Ein sehr guter Bericht über die EOS 1D X. Der Haben-Will-Faktor ist schon ganz schön hoch – wie aber leider auch der Preis. Und auch, wenn noch viel Wasser die (bei Dir) Elbe oder die (bei mir) Stör runterfliesst: ich glaube nicht, dass diese Kamera vorläufig den Weg in meine Kameratasche finden wird. Leider.

  2. Canon hat da wirklich sehr gut die wichtigsten Vorteile von Nikon erkannt und übernommen. Wenn die sauber funktionieren ein echter Gewinn, auch wenn es für mich kein Grund zum Systemwechsel wäre.

    Mein Lieblingsfeature ist eindeutig die Netzwerkbuchse – ich hoffe Nikon bringt in diesem Bereich auch was bei den neuen, denn tethering ist bei Nikon bisher eine Qual (kleine Kabelwackler können die Verbindung zum Absturz bringen, dann verschwinden noch nicht übertragene Fotos im Nirvana).

  3. Hallo,

    ein richtig guter Artikel! Nach den technischen Daten zu urteilen hat Canon diesmal wohl alles richtg gemacht. Für mich kommt sie dennoch nicht in Frage, denn ich bin mit meiner D700 vollkommen glücklich:-)

  4. Klasse geschrieben, vielen dank für den Artikel.
    Das ist ein großer Schritt den Canon da macht. Leider außerhalb meines Budgets :). Die Entwicklung macht aber auch Hoffnung für die 5d Reihe.

  5. hallo Michael

    vielen Dank für diesen sehr informativen Artikel. Interessant sind für mich besonders Deine persönlichen Anmerkungen zur möglichen Nutzung dieser Kamera in Deinem Alltagsbetrieb. Spannend finde ich den Ethernet-Anschluß. Habe das ein oder andere Mal im Studio mit einer USB-Lösung (und IPAD) fotografiert. Etwas umständlich aber brauchbar, würde durch einen LAN-Anschluß direkt an den Rechner sicher einfacher. Bin mal gespannt. Schon eine Wunschkamera, wenn da nicht der Preis wäre.

  6. Pingback: uncolor.de » Blog Archive » webwhisper … wochenreport

  7. Hallo Michael,
    vielen Dank für den tollen und informativen Beitrag, ich habe ihn mit großem Interesse gelesen. Was mich auch interessiert sind aber auch die Magazine, die du erwähnt hast, ich würde mich sehr freuen, deine schönen Bilder mal als Veröffentlichung sehen zu können. Hast du mir vielleicht ein paar Tipps, wo ich da was finden könnte?
    viele liebe Grüße
    Kerstin

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